Ein anregendes Interview mit Volkert Engelsman wurde kürzlich im Food & Agribusiness Magazine veröffentlicht. Engelsman spricht über die Rolle der True Cost Accounting in der "neuen Normalität", in der der Fokus auf Produktionsmaximierung pro Hektar überholt ist. Wir haben es für Sie übersetzt.
(Den Originalartikel (Niederländisch) finden Sie hier)
Volkert Engelsman nennt sich selbst ‘nur ein einfacher Gemüsehändler aus Waddinxveen’. Aber schon einer, der mit biologischem Gemüse und Obst handelt. Und einer, der letztes Jahr ein neues, eindrucksvolles Firmengebäude bauen ließ. Man kann also durchaus grün wirtschaften, ohne in den roten Zahlen zu landen.
‘Man kann nicht grün wirtschaften, wenn man in den roten Zahlen steht’. Solche Aussagen sind bei den Bauern mittlerweile gängig, wenn es um die kostenerhöhenden Forderungen nach nachhaltigeren Produktionsprozessen geht. Konfrontiert mit den guten Vorsätzen von Landwirtschaftsministerin Carla Schouten für die Einführung von zirkulärem Landbau und dazu noch der Stickstoffkrise, wurde das Dilemma der Landwirte bei ihren Protesten mehr als deutlich. Hierauf sind zwei Antworten möglich: dann eben keinen nachhaltigen Landbau betreiben. Oder die Landwirte so bezahlen, dass sie nicht mehr in den roten Zahlen stehen.
Nachhaltig wirtschaften und Gewinne machen
Gemüsehändler Volkert Engelsman, unter anderem Gründer von Eosta (Handelsunternehmen für biologisches Obst und Gemüse) ist Teil einer Handelskette, in der Landwirte und Händler sehr wohl auf nachhaltige Weise handeln und Gewinn machen. Nur eine Frage von Angebot und Nachfrage in dem biologischen Nischenmarkt? Oder der Beginn eines zukünftigen, agrarischen Verdienstmodells, auf das nicht nur der Markt, sondern auch die Politik und die Finanzwelt hinsteuern?
“Wir sprechen schon seit Jahrzehnten über ‘People and Planet’, aber bis zum heutigen Tag wenden wir eine Gewinn-Definition von gestern an die es möglich macht, dass der Verursacher mit einem Konkurrenzvorteil wegkommt. Wenn ich als Erzeuger weniger Kunstdünger einsetze und per Quadratmeter etwas weniger Kilos ernte und etwas mehr Arbeit einsetze für nachhaltige Methoden, dann hinterlasse ich einen gesünderen Planet. Aber die Bank sagte dann immer: Was soll das Ganze?”
Risk Adjusted Return On Capital
Das ändert sich aber mittlerweile, bemerkt Engelsman. Unter dem Druck der niederländischen Zentralbank ‘De Nederlandsche Bank’ integrieren die Banken immer mehr Anforderungen auf dem Gebiet von Nachhaltigkeit in ihren ‘Rarocs’: die ‘Risk Adjusted Return On Capital’. “Damit werden Unternehmen nicht nur an einer altmodischen, finanziellen Messlatte gemessen, sondern müssen auch durch einen Klima-Stresstest, einen Biodiversitäts-Stresstest und einen Gesundheits-Stresstest hindurch. Und der eigene ‘Fußabdruck’ auf diesen Gebieten geht zu Lasten des Gewinns oder der Unternehmensbewertung. Dies sind auch die neuen Kriterien der Kreditgeber. Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch sind hinter den Kulissen mit einer Herabstufung der Unternehmen beschäftigt, die noch zu sehr an den veralteten Normen festhalten.”
Eosta ist schon seit einigen Jahren Pionier auf dem Gebiet des ‘True Cost Accounting’. Wie kommt das?
“Im Auftrag der FAO (UNO-Welternährungsorganisation), der ‘Natural and Social Capital Coalition’ und der ‘World Business Coalition for Sustainable Development’, damals unter dem Vorsitz von Paul Polman von Unilever, haben die vier weltgrößten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Protokolle für die Berechnung der sogenannten externalisierten gesellschaftlichen Kosten entwickelt: das sind z.B. die Kosten für entstandene Bodenverarmung und Klimaschäden, für die Säuberung von Wasser und für die Wiederherstellung einer ausgewogenen Biodiversität. Das haben wir für die gesamte Produktpalette von Eosta berechnen lassen.
Kreditgeber stufen diejenigen herab, die zu sehr an den veralteten Normen festhalten.
Denn die Unilevers, Nestlés und Rabobanken dieser Welt würden ansonsten ‘too big to fail’ sein. Diese haben mit hohen Milliardenbeträgen in die alte Wirtschaft investiert; verständlicherweise sind sie nun keine Vorreiter. Wir waren klein genug, um eine Vorreiterrolle einnehmen zu können und groß genug, um ernst genommen zu werden. Jetzt bekommen wir den Applaus von Menschen wie dem Präsidenten der niederländischen Zentralbank, der Landwirtschaftsministerin und Königin Maxima. Aber diese großen Konsortien verdienen eigentlich das Lob.”
Das klingt aber nicht nach etwas, wovon Bauern und Gemüsegärtner heute schon ihre Energierechnung und Einkäufe von bezahlen können.
“True Cost Accounting zeigt, wie man den Erzeuger für das belohnt was gut für den Planeten ist und wie nicht nur er, sondern auch noch seine Kinder damit ihren Lebensunterhalt verdienen können. Es ist außerdem der Ausgangspunkt für ein neues steuerliches Bonus-Malus-System, das den Verursacher bezahlen lässt und denjenigen belohnt, der zu Bodenfruchtbarkeit, sauberem Wasser und Biodiversität beiträgt. Das ist kein Einkommensmodell für die Großen Kunstdünger- und Agrarchemie-Lieferanten, aber schon für den Landwirt und Gemüsegärtner.”
Geben wir damit nicht unsere Kraft aus der Hand? Soviel wie möglich produzieren per Hektar, mit so wenig Kosten wie möglich?
“Ja, das ist die Richtung, in die Bauern und Gemüsegärtner in den letzten 75 Jahren gelenkt wurden. Das Dreieck Politik, Wissenschaft und Agrarindustrie erwies sich dabei als eine außerordentlich erfolgreiche Drehtür und Einkommensmodell. Mit seltsamen Kombinationen. So wie Aalt Dijkhuizen, der sich selbst als Sprecher der ‘Farmers Defence Force’ in den Vordergrund spielt. Als ehemalige Führungskraft der Universität und landwirtschaftlichen Forschungseinrichtung in Wageningen behauptet er ohne mit der Wimper zu zucken: wir brauchen die Bienen nicht und Legehennen werden die Welt ernähren, denn die haben so einen kleinen Fußabdruck. Das sind Relikte der Vergangenheit. Damit isolieren sich die Niederlande immer mehr in eine gedankliche Richtung, die vor einiger Zeit noch als fortschrittlich galt, von der wir aber nun die unerwünschte Kehrseite sehen.”
Aber ist dann nicht wieder der Erzeuger der Dumme, wenn der Verursacher bezahlt? Von der Regierung für gutes Verhalten belohnt zu werden, erscheint eher eine wackelige Grundlage. Dann noch lieber die Unsicherheit des Marktes.
“Es ist nicht ‘entweder’ Markt, ‘oder’ Regierung, sondern es ist beide zusammen. Schauen wir uns den biologischen Markt an. Und dann nicht die 4% Marktanteil in den Niederlanden, denn schlussendlich wird 80% von dem, was wir hier erzeugen, ins Ausland exportiert und dort liegt der Marktanteil zwischen 15 und 25%. Auf dem europäischen Markt kann der Preis für biologische Produkte drei oder viermal so hoch sein, wie für konventionell. Das liegt an der Nachfrage, die schon seit Jahrzehnten stärker zunimmt, als das Angebot. Aber es ist auch eine “Prämie” für die Dienste am Ökosystem und weil das Bio-Qualitätszeichen das vertrauenswürdigste Qualitätszeichen in Europa ist. Es ist auch eine Prämie für mehr Sicherheit. Kunden werden immer häufiger sagen: “Geben Sie mir lieber Bio, denn dann weiß ich sicher, dass es in Ordnung ist!”
Außerdem ist es auch eine Frage der Unternehmenspositionierung. Wenn man den heutigen Markt bedienen will, dann muss man vor allem so weitermachen, wie bisher. Wenn man den zukünftigen Markt bedienen will, dann ist man gut beraten, sich bei nachhaltigen Landbau-Methoden umzuschauen.”
Aber mit ökologischem Anbau verdient ein Erzeuger heutzutage sowieso nicht genug.
“Eigentlich auch schon ohne Öko-Anbau nicht. Wenn man die Bruttowertschöpfung unseres vielgerühmten agrarischen Exports durch die Anzahl Arbeiter in diesem Sektor in unserem Land teilt, also die Zahl der Münder, die davon satt werden müssen, dann kommt man auf ein Drittel dessen, was durchschnittlich ist. Da kann man also eigentlich auch in dem alten System gar nicht ausreichend verdienen. Die Landwirte und Gemüseanbauer die darüber klagen, dass sie keine fairen Preise für ihren Arbeitsaufwand erhalten, die haben Recht. Wir müssen also sowieso hin zu einem System, das richtiger rechnet.”
Wie schnell kann es Wirklichkeit werden, dass man mit Diensten, die das Ökosystem intakt halten, verdienen kann?
“Das kann schnell gehen. Der neue “Green Deal” der Europäischen Union bläst Wind in die grünen Segel, Banken und Investoren setzen auf grüne Investitionen und man braucht nicht hellsichtig zu sein um zu sehen, dass selbst Mark Rutte schon Vorbereitungen trifft, um nach den Wahlen gemeinsam mit Links und Grün regieren zu wollen. Und die konservative Partei CDA ist mittlerweile auch schon offen für den Bonus-Malus-Ansatz der TAPP-Koalition, der eine Mehrwertsteuer-Senkung für Obst und Gemüse mittels einer Fleischsteuer vorsieht.”
Oder haben wir hier einen ökologischen Gemüsebauer, der sich selbst reich rechnet?
“Haha, kluger Kommentar! Ach, wir machen hier auch nur, was wir schon seit Jahren machen: Kapital machen mit maximaler Transparenz über unsere Produkte und eine gezielte Ausrichtung auf Gesundheitsförderung, soziale Verbundenheit und Nachhaltigkeit. Mit der UN entwickeln wir momentan Prototypen für “Existenzsichernde Einkommensmodelle”, die nicht nur für Landwirte, sondern auch für ihre Mitarbeiter für ein besseres Einkommen sorgen sollen. Der Preisunterschied für Bio-Mangos mit oder ohne faire Entlohnung für Landwirt und Mitarbeiter, beträgt ungefähr 40 Cent pro Kilo. Mit der Supermarktkette Ekoplaza führen wir die Dr. Goodfood-Kampagne. Dabei geht es um die gesundheitsfördernden Effekte von Obst und Gemüse. Mit großen Text-Aufklebern auf dem Boden “Der Weg zu besserer Abwehr”.
Und mit unserer ‘True Cost Accounting’ Aufklärungskampagne in den Läden probieren wir deutlich zu machen, dass nachhaltige Produkte nicht zu teuer, sondern konventionelle Produkte zu billig sind. Die gängigen Supermärkte in den Niederlanden weigern sich noch mitzumachen, aber in diversen Flagship-Filialen von Rewe, Carrefour und Sainsbury’s wird vollauf experimentiert mit Informationen für Konsumenten über die tatsächlichen Kosten der Produkte. In diesen Ländern Europas scheint der Groschen bereits gefallen zu sein.”